Beam me up, Scotty!
Spontan­gemütliches Mädelsfrühstück mit der Lieblingsnachbarin. Der zweite Kaffee läuft durch. Die Milch ist alle.
Kein Problem, Jacke übergeworfen, Schlüssel und Geld geschnappt und mal schnell ab in den Supermarkt gegen­
über. Ich flitze an Obst und Gemüse vorbei, steuere zielsicher auf die Molkereiprodukte zu, bin fast da, erstarre,
mache dann auf der Stelle kehrt und finde mich Sekunden später leicht hyperventilierend einen Gang weiter hinter
dem Käse wieder. Nein! Nein! Meine innere Stimme lacht etwas hysterisch. Nein, auf keinen Fall stand da jetzt der
„Seit­‚damals‘­nicht­mehr­gesehen­Ex­Freund“.
Bevor ich wieder ein Blick riskiere, mache ich mich selbst möglichst unauffällig klein und, zur Tarnung der plötzlich
weichen Knie, an meinem Schnürsenkel zu schaffen. So gewinne ich Zeit. OK, Ruhe bewahren. Ich schimpfe lautlos.
„Das ist mein Supermarkt. Ich wohne hier, mein Revier!“ Ich schiele von schräg unten um die Ecke aus meiner
Deckung hervor: Da steht ER. Bevor ich mich fragen kann, ob er eigentlich besser oder schlechter aussieht, als zu
meiner Zeit, kommt das, was gerade noch fehlte: eine Size­Zero­Blondine. Sie stöckelt auf ihn zu und flötet:
„Schaaaaatz, guck hier, das war im Angebot.“ War ja klar. Ob es dazu auch eins von Murphys Gesetzen gibt? Wenn
man grad frisch vom Friseur kommt oder mit gutaussehender männlicher Begleitung unterwegs ist, trifft man
höchstens seine ehemalige, inzwischen halbblinde Zahnärztin. Aber trägt man einmal nichts als die zerzauste und
unvorteilhaft verpackte ungeschminkte Wahrheit vor sich her, dann steht einem natürlich der Ex vor der Nase, der
seinerseits zufällig noch Giselle Bündchen im Schlepptau hat.
Flucht ohne Milch oder Flucht nach vorn? Ich wäge Alternativen gegeneinander ab, setzte sie ins Verhältnis zu mei­
ner schäbigen Beinbekleidung, teile das Ergebnis durch einen Hauch von Reststolz – da schiebt sich mir ein
Einkaufswagen in die Seite und mich ein Stück nach vorn. Pah, ich bin doch keine zwölf mehr! Ich muss mich nicht
verstecken! Ich bin cool! Ich fasse all meinen Mut zusammen, atme tief ein, erhebe mein ungewaschenes Haupt
und bewege mich etwas krampfig aber sehr tapfer – in die andere Richtung.
Die nächsten zehn Minuten verbringe ich mit dem eingehenden Studium von Senfsorten in einem eher abgelegenen
Bereich des Marktes. Ich glaube, hier war ich das letzte Mal, als ich tatsächlich zwölf war und – eigentlich krank
zuhause im Bett liegend – beim Süßigkeitenkaufen beinahe der Lateinlehrerin in die Arme gelaufen wäre. Wie da­
mals, flehe ich aus meinem Versteck auch jetzt still nach einem Gerade­nicht­passiert­Zauber oder einem Beamer.
Scotty?
Egal. Inzwischen sollte die Luft rein sein und da mein Frühstück wartet, verlasse ich die sichere Zone. Ich nutze den
Heimvorteil des Wissens um weitere geheime Wege zwischen den Regalen und schleiche mich umsichtig zurück
zum Ort des Fast­Geschehens. Außer einer älteren Dame ist keiner zu sehen. Dann noch ein paar Meter bis zur
Kasse. Geschafft! Ich packe meine Beute und für die strapazierten Nerven noch ein paar Gummibärchen aus dem
Hier­wird­gequengelt­Regal dazu, ärger mich über Schicksal, Timing, meine Hose und schließlich über die Tatsache,
dass ich mir wohl zu früh zu sicher war: Ex und Neu schieben gerade ihren Wagen an die Kasse nebenan. Die voll­
gepackte Großfamilie hinter mir verwehrt den Rückzug, eine Kassiererin, die heut auch nicht ihren Tag hat, den
schnellen Abgang. Ich sitze in der Falle, starre angestrengt aufs Kassenband und bin einfach nicht hier. „Das macht
1,68.“ Hochkonzentriert zähle ich mein Kleingeld ab. „War alles in Ordnung?“ Hmpf, mein gequältes Lächeln und
ich treten zügig, aber immerhin stolperfrei, den Heimweg an. Vielleicht hat er mich ja gar nicht gesehen.
Schussi, eure Mamu
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